Ulrike Meisenheimer
Neue Ergebnisse der Kultforschung:
Das männlich-weiblich-Phänomen
Inhalt:
ZUR EINFÜHRUNG
KLOPF-KULT
EHE-KULT
NO-BRA-KULT
EROTIK-KULT
SPANISCHES-FLIEGEN-RITUAL
LOCK-RITUS
ES-KULT
KOSMETIK-KULT
INDEX
ZUR EINFÜHRUNG
Dem wissenschaftlich interessierten Teil unserer verehrten Leserschaft wird mit der Veröffentlichung dieses ersten Bandes ein erster Abriß der sensationellen Ergebnisse neuester kulturhistorischer Forschungen vorgelegt. Forschungsgegenstand sind die Formen des Zusammenlebens von Männern und Frauen in weit zurückliegenden Perioden der Menschheitsgeschichte. Vor unseren Augen entfaltet sich ein erregendes Panorama fremder und doch vertrauter Variationen magischer Gegenstände und Riten. Das vorliegende Kompendium vereinigt zum ersten Mal Fragmente von historischen Originaltexten mit zeitgenössischen Illustrationen und Kommentaren. Historisches Bildmaterial fehlt leider ganz. Die Rekonstruktion dieser Gesellschaftsform der Frühzeit ergibt ein für unsere Kulturgefühl bizarres Bild. Für viele Generationen scheint der bei weitem wichtigste Lebensinhalt das Arrangement der Geschlechter gewesen zu sein. Das einzige Ziel der vorzeitlichen Individuen war offenbar die Paarbildung, die durch präzise festgelegte Rituale vorbereitet und vollzogen wurde. Das vorliegende Werk erlaubt nun einen ersten Überblick über die Morphologie der rituellen Vorgänge aus längst vergangener Zeit nach neuesten Erkenntnissen wohl das Ende des 20. Jahrhunderts.
DER KLOPF-KULT.
Im Mittelpunkt des Klopfkultes steht das menschliche Herz. Insbesondere seine Eigenschaft, durch rhythmische Erschütterung der Brustwand ‘Herzklopfen’ zu erzeugen. Man könnte sich vorstellen, daß vor allem in unmittelbarer Nähe menschlicher Behausungen zeitweise ohrenbetäubender Lärm geherrscht hat. Jedem Menschen, ob Mann oder Frau, war ein bestimmter Klopfrhythmus (‘Klopfcode’) angeboren, der eine ungemein suggestive Wirkung auf das jeweils andere Geschlecht hatte. Zur Partnersuche begab man sich in sogenannte ‘Klopfrhythmusarchive’. Dabei haben wir uns großangelegt, öffentliche Datenbänke vorzustellen, in denen die unterschiedlichsten Herzklopfrhythmen registriert waren. Je nach Mode oder persönlichem Geschmack suchte man sich in diesen Instituten problemlos den gewünschten Resonanzschwingkreis bzw. Partner aus. Als Ideal galt übrigens jahrzehntelang der Mann mit Herzklopfen im 3/4-Takt. Ein unlängst entdecktes Textfragment weist darauf hin, daß neben den öffentlichen auch beachtliche Privatarchive existiert haben müssen. Besonders erwähnenswert scheint die berühmte ‘Sammlung Casanova’, die interessante Rückschlüsse auf außergewöhnlich viele weibliche Klopfcodes zuläßt.
‘Original-Text’-Funde:
. . . daraus ergibt sich eine kreisende Erregungswelle, die in Abhängigkeit von ihrer Durchlaufgeschwindigkeit bestimmenden Einfluss auf die Aktionsfolge des Herzens nimmt . . .
Thorspecken. Herzschrittmacher. Ein Leitfaden. 1986. . . Zwei Herzen im 3/4-Takt, die hat der Wein zusammengebracht, in einer Walzernacht . . .
. . . um sich zu überzeugen, wie solche Einzeller als sogenannte Radiolarien Tausende der schönsten rhythmischen Kunstornamente in Gestalt ihrer aus Kieselsäure bestehenden Schwebeapparate oder Tragskelette erzeugen. Es gibt vorläufig nur ganz lose Vermutungen über den Ursachenzusammenhang, der diese Tendenz der Natur auf Rhythmus uns erklären könnte . . .
Koßmann, Weiß. Mann und Weib. Ihre Beziehungen zueinander und zum Kulturleben der Gegenwart. 1898
DAS EHE-RITUAL.
Bei dem Eheritual handelt es sich um den Vollzug von Herztransplantationen in kleinem oder großem Rahmen. Die Eingriffe wurden aller Wahrscheinlichkeit nach von den Instituten der Klopfrhythmusarchive gesponsort. Der allgemein übliche Herztransfer beruhte wohl auf der Tatsache, daß damals zumindest einige Menschen über mehrere Herzen verfügten (s. Organhandel). Das menschliche besaß beinahe surreal anmutende Eigenschaften, die die Vermutung nahelegen, daß es sich um ein besonders labiles Organ handelte. Es konnte beispielsweise brechen, verschenkt werden oder auch verloren gehen. Das Überleben war folglich nur durch den Besitz von mehreren Herzen gesichert. Offenbar waren bei der Partnersuche bestimmte Klopfrhythmen jahrelang nicht gefragt bzw. unmodern. In solchen Fällen entschied man sich häufig dafür, Spender-Empfänger-Manipulationen durchführen zu lassen, in deren Verlauf beliebig viele Herzen ausgetauscht werden konnten. Auf diese Weise wurden altmodische durch avantgardistische Klopfcodes ersetzt. Solche Eingriffe verliefen allerdings nicht immer ohne Komplikationen. So konnte es bei der Verpflanzung eines zweiten oder dritten Herzens durch mangelhafte Parallelschaltung gelegentlich zu Herzrhythmusstörungen, unter Umständen sogar zu Herzbrüchen kommen. Ein mißlungenes Ritual bezeichnete man als ‘Ehebruch’, den verantwortlichen Arzt als ‘Herzensbrecher’. Nach gelungenen Operationen konnte man sich jedoch in den zahlreichen Klopfrhythmusarchiven erneut registrieren lassen und die Partnersuche unter neuen apparativen Bedingungen fortführen.
‘Original-Text’-Funde:
. . . Jede Eheschließung ist eine öffentliche Verzichterklärung und somit ein wichtiges Moment der . . . Zunächst gehen sie mit ihrer Neuigkeit nur zu Freunden und Verwandten, doch bald ist ihnen das nicht mehr genug. Sie geben Zeitungsinserate auf, in denen sie ihren Verzicht . . . proklamieren, verschicken vorgedruckte Informationen über ihre Intimsphäre an Leute, die sie kaum kennen, schwören sich in der Gegenwart von Zeugen Loyalität, Einigkeit und Treue, organisieren kleinere und größere öffentliche Versammlungen, zu denen alle in aufwendiger Kostümierung erscheinen müssen . . .
Vilar. Das Ende der Dressur. 1971. . . intrakardial eingebrachte Elektroden setzen die Anwendung eines Elektrodenkatheders voraus, apimyokardiale Elektroden benötigen Kabel, die von außen an das Herz herangeführt werden. In jedem Fall aber müssen ein für die Dauerstimulation geeigneter Impulsgeber und mindestens ein Kabel mit Herzelektrode inkorporiert werden . . .
Thorspecken. Herzschrittmacher. Ein Leitfaden. 1986
DER NO-BRA-KULT.
Im No-Bra-Kult spinnen sich die rituellen Handlungen um den Fetisch weibliche Brust. Man weiß, daß die Frauen der Frühzeit ihre Brüste durch spezielle Halterungen (‘Büsten-Halter’) in bestimmten Lagen stabilisieren mußten. Über das Design, wie auch über die konkreten Funktionen dieser Halterungen ist an allerdings auf Vermutungen angewiesen. Eine der ältesten Hypothesen legt nahe, daß die weiblichen Brüste vom Körper losgelöst waren und daß die Männer im Verlauf ritueller Handlungen eine wechselnde Anzahl von Brüsten in festgelegter Reihenfolge an Büsten-Halter anbrachten. Eine zweite – uns heute plausibler scheinende – Hypothese geht davon aus, daß die Brüste der Frauen ständig an Größe und Gewicht zunahmen und die Büsten-Halterungen mit zunehmendem Lebensalter schließlich enorme Ausmaße hatten. Pflege und Transport dieser Apparate nahmen Generationen von Frauen voll und ganz in Anspruch, sodaß sie den Vollzug von Paarritualen immer mehr vernachlässigten. Irgendwann waren die Frauen in ihrer Bewegungsfreiheit so weit eingeschränkt, daß sie den Transport der ausufernden Haltegeräte nicht mehr gewährleisten konnten. Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt muß ein Bruch der Gewohnheiten eingetreten sein. Millionen Frauen taten sich zusammen und fanden neue Wege, sich von ihrer Brüste-Last zu befreien, indem sie in speziellen Bewegungsräumen ihren Brustumfang verkleinern ließen. Die Endphase dieser Entwicklung wird als ‘No-Bra-Kult’ bezeichnet, d.h. als die Kunst, keinen BH (Abk. für ‘Büstenhalter’) zu tragen. Die Dekadenz der Büstenhalterphase war damit gebrochen. Man widmete sich wieder den eingeübten Paarritualen. In einem aufschlußreichen Textauszug lesen wir in Zusammenhang mit dem No-Bra-Kult, daß der ‘Busen als erotisches Ballungszentrum gänzlich aufgelöst wird. Ging folglich mit der Abschaffung des Büstenhalters auch der Verfall des Erotikkultes einher? Fragen über Fragen! Hat man sich vielleicht andererseits zu diesem Zeitpunkt die Hochblüte des Klopfkultes vorzustellen, da durch die Verkleinerung der Brüste und den Wegfall der Büsten-Halter das Herzklopfen wieder deutlicher hervortrat?
‘Original-Text’-Funde:
. . . Ein Münchener Frauenarzt, den wir befragten, teilt nach 15-jähriger Berufserfahrung die Busen, die ihm unterkamen, in Kategorien wie ‘Äpfel, Birnen und Kartoffeln’ ein. Für große Fleischbusen hat er den Vergleich ‘Ananas’. Er hält für möglich, daß sich bei nichtgestützten Busen im Brustgewebe Knötchen bilden können. Andere Frauenärzte sind nicht so streng. Sie finden zwei büstenhalterlose Tage in der Woche ungefährlich . . .
‘Twen’. 1968. . . Rechnen wir knapp 25 Millionen weibliche Wesen, die sich augenblicklich überall auf der Erde durch Diät und Gymnastik freiwillig um 10 Gramm Busen täglich bringen, so bedeutet das: es gibt Tag für Tag 250 Tonnen Busen weniger. Geschlechtslosigkeit ist das Idol. Frauen werden immer knabenhafter, und Männer werden immer mädchenhafter. Aus dem frühen Liebeswerben zwischen Mann und Frau wird eine einzige, monotone Lolitanei . . . Rettet ihn also, den Busen. Wir müssen uns ganz einfach zu ihm bekennen und den Verdacht, deswegen unmodern zu sein, gelassen tragen. Wir werden reichlich entschädigt . . .
‘Twen’. 1968. . . No Bra – die Kunst, keinen BH zu tragen. Werfen Sie Ihren BH weg! Ein Griff genügt und Ihr Busen wird swingend wie noch nie! . . . Der No-Bra-Kult stammt aus Amerika, wo bereits eine Spezialmode entstand. Amerikanische und Pariser Modeschöpfer erwarten von ihrer losen Büste, daß sie sich mit ihren Atemzügen so sanft bewegt wie ein Mobile. Das hängt natürlich von der Größe ihres Ausschnitts ab und von der Art, wie sie Luft holen … Der Effekt ist in jedem Fall überraschend: schroffe Klippenlandschaften werden plötzlich zu leichten Höhenzügen eingeebnet. Die Figur gerät in Fluß, der Busen als erotisches Ballungszentrum wird aufgelöst . . .
‘Twen’. 1968. . . Es lebe der Unterschied! . . .
DER EROTIK-KULT.
‘Erotik’ – ein immer wiederkehrender Begriff, der auf den rituellen Umgang mit der Farbe Rot anspielt. ‘Erotik’ – die Kunst zu erröten! Seit einiger Zeit häufen sich die Hinweise auf statistische Untersuchungen, die man anstellte, um den Anteil der Rotpigmente in bestimmten Körperteilen zu messen. Laut Tabelle verfügte der weibliche Körper von Natur aus über einen größeren Rotanteil als der männliche. Man hat allerdings bis heute keine Aufzeichnungen darüber gefunden, ob diese Tatsache dem Mann konkrete Nachteile eingebracht hat. Vermutlich konnte er durch geschickte Aneignung der Farbe Rot diesen angeborenen Fehler im Laufe seines Lebens wieder ausgleichen. Der Gebrauch von Sonnenbänken war zum Beispiel ein beliebter Weg, Rotpigmente aufzutanken. Der Ausdruck ‘noch Grün hinter den Ohren’ bezieht sich folglich auf junge Männer, die noch unerfahren sind mit der täglichen Beschaffung von Rot-Pigment.
Geschlechtssemantiker stellen über die vielfältigen Bedeutungen der unterschiedlichsten Rottöne Jahr für Jahr neue Spekulationen an. Konkrete Nachweise fehlen völlig. Als erwiesen gilt lediglich, daß bei diesen rituellen Handlungen Rotpigmente von Mann zu Frau und umgekehrt übertragen wurden. Je nach Quantität der Transferstoffe spricht man von ‘mächtigem’ bzw. ‘sanftem’ Effekt. Sinn und Zweck der rituellen Handlungen war stets der Ausgleich im ‘stabilen Rot’. Der Erotikkult darf als direkter Auslöser für das ‘Spanische-Fliegen-Ritual’ gelten.
‘Original-Text’-Funde:
. . . Purpur wird also beim mächtigen Effekt mehr zum Hochrot hin, beim sanften Effekt mehr zum Rotviolett hin stehend angenommen . . .
Goethe. Farbenlehre. 1793. . . Das Weib ist in Bezug auf Haarfarbe um etwa 7 Prozent, in Bezug auf Irisfarbe um etwa 3 Prozent brünetter als der Mann . . .
Koßmann, Weiß. Mann und Weib. 1898. . . Die Farbe scheint sich wirklich ins Organ zu bohren. Sie bringt eine unglaubliche Erschütterung hervor und behält diese Wirkung bei einem ziemlichen Grade von Dunkelheit . . .
Klee. . . Bei der Entstehung des stabilen Rot müssen wir uns des fundamentalen Unterschieds zwischen der rationalen Distanz und dem verwandtschaftlichen Abstand erinnern . . .
Pawlik. Theorie der Farbe. 1969
DAS SPANISCHE-FLIEGEN-RITUAL.
Unter dem Begriff ‘Spanisches-Fliegen-Ritual’ werden zwei verschiedenartige kultische Vorgänge zusammengefaßt, die die Neutralisierung des Schweißgeruches zum Ziel hatten. Dies war unerläßlich, da bei der Paarbildung absolute Geruchsneutralität vorausgesetzt wurde. Während der Hochblüte des Spanische-Fliegen-Rituals konzentrierte sich das Fühlen und Handeln der Menschen insbesondere auf Geruchsdimensionen. Das Herstellen, Katalogisieren oder Vernichten von Geruchsstoffen wurde zum wichtigsten Lebensinhalt. So verwundert es nicht, daß man auch den menschlichen Körper vor allem nach Geruch erfassen konnte. Man unterschied Körperteile nach Geruchszonen, sogenannte ‘erogene Zonen’, die mit den unterschiedlichsten Aromaorganen besetzt waren, einige mit winzigen Schuppen, andere mit großen, trompetenartigen Zerstäubern (‘Zerstäubertrompeten’). Die größten Trompeten befanden sich bei Männern besonders häufig an der Beuge des Ellenbogens sowie am Knie, bei Frauen vorzugsweise im kleinen Grübchen hinter dem Ohr. Das Spanische-Fliegen-Ritual basiert auf der fatalen Aktivität der Zerstäuber des Mannes, Schweiß abzugeben und damit die Paarbildung zu erschweren. Folglich entwickelten sich im Laufe der Zeit diverse Rituale zur Bekämpfung dieses störenden Geruches. Der Parfümtheorie zufolge ging man davon aus, daß Mann und Frau sich bei Auftreten des Schweißgeruches in Parfümbars trafen, um dort die verschiedenartigsten Parfüms zu sich zu nehmen, das waren Getränke, die aus weiblichen Duftdrüsen gewonnen wurden. Reagierten die schweißproduzierenden Zerstäuber positiv auf die Parfümaufnahme, so galt das Ritual als geglückt. Die Trompeten nehmen augenblicklich rote Färbung an (siehe ‘stabiles Rot’), mißglückte das Ritual aber, dann traten bei den Frauen Juckreiz oder gar Geruchshalluzinationen auf. Eine andere Theorie beruft sich auf ein überliefertes Rezept zur Herstellung von Aphrodisiaka, Mitteln, die die Frauen herstellten, um sie teelöffelweise in die Zerstäuber der Männer zu träufeln. Sie verschafften ihnen dadurch nicht nur große Erleichterung, sondern gleichzeitig die Voraussetzung zur Teilnahme am Lock-Ritus, bei dem auf geruchsneutrales Erscheinen besonders viel Wert gelegt wurde.
‘Original-Text’-Funde:
. . . Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang die sogenannten erogenen Zonen, diejenigen Hautbezirke, deren zärtliche Berührung geschlechtlich erregend wirkt. Beim Mann beschränkt sich diese Zone im allgemeinen auf die Geschlechtsorgane und deren unmittelbare Umgebung . . . Bei der Frau ist die Haut des ganzen Körpers, besonders die Innenfläche der Hand, die Beuge des Ellenbogens, . . . das kleine Grübchen hinter dem Ohr . . .
Wrage. Mann und Frau. Grundlagen der Geschlechterbeziehung. 1969. . . Schweissgeruch ist kein Zeichen von Männlichkeit. Ein Mann muss nicht immer schön sein. Aber ein Mann darf auch nicht riechen. Mit desodorierender Seife und Duftwässern allein ist es da allerdings nicht getan. Denn die üblen Gerüche kommen oft aus der Wäsche und da sitzen sie fest . . . Milliarden von Bakterien stürzen sich augenblicklich auf die Wäsche, zersetzen den Schweiß und erzeugen dadurch jenen unangenehmen, widerlichen Geruch, der so außerordentlich abstoßend wirkt . . .
Werbung für ‘Evidur’. 1970. . . Aphrodisiakum:
1. Zerreibe in einem Messingmörser einen Teelöffel Muskatblüten, zwei Cantharideskäfer (spanische Fliegen) und einen gehäuften Teelöffel frischen Safran. Verrühre alles mit einem halben Liter Wasser, aufkochen und anschließend eine halbe Stunde brodeln lassen. Dann sieden lassen, bis die Flüssigkeit bis auf eine viertel Tasse reduziert ist. Abseihen. Nie mehr als zwei Käfer verwenden.
2. Koche die Blätter, Blüten oder Schoten von Datura stramonium (Stechapfel) in einer achtfachen Menge Wasser drei Stunden lang, dann abseihen. Ein halber Teelöffel reicht völlig für zwei Erwachsene . . .
‘Twen’. 1970
DER LOCK-RITUS.
Der Lock-Ritus basiert auf einem zur Paarbildung unbedingt erforderlichen Lock-Trieb der Geschlechter. Wir können hier nur auf eines der zahlreichen verfügbaren Lockmittel näher eingehen. Es handelt sich um die sogenannte Lock-Frisur, die während der rituellen Handlungen am Körper der Frau angebracht wurde. In der einleitenden Phase des Lochrituals wurde zunächst eine komplette Epilation des weiblichen Körpers vorgenommen, d.h. der Frauenbart wurde in einer schmerzhaften Prozedur vollständig entfernt. Unter der Bezeichnung ‘Bart’ ist ursprünglich ganz allgemein die Behaarung verschiedener Körperteile zu verstehen. Es gab beispielsweise Bauch-, Kopf-, Fuß- oder Kniebärte. Diese erste Behandlungsstufe war unerläßlich für die Ausführung des eigentlichen Lockrituals. Auf dem Höhepunkt dieses Vorganges brauchte der Mann offenbar eine Lock-Frisur an der geglätteten Haut der Frau an. Detaillierte Original-Beschreibungen klären uns über den erstaunlichen Variationsreichtum dieses Lockmittels auf. Während des Lock-Ritus wurde der Mann als ‘Lockenwickler’ bezeichnet, ein Titel, den er is ins hohe Alter führte. Übrigens nannte man Männer mit besonders viel Witz und Charme häufig ‘Lockvögel’!
‘Original-Text’-Funde:
. . . Eine vollständige Entfernung des Frauenbartes ist nur durch chemische Mittel oder durch Anwendung der elektrischen Nadel möglich, nötigenfalls durch das sogenannte Stanzverfahren, welches Professor Kromaner in Berlin erfunden hat. Durch feinste zylinderartige Messerchen, die durch einen nach dem Muster der zahnärztlichen Bohrmaschine gebauten Rotationsapparat in Bewegung gesetzt werden, werden die Haare samt der Wurzel ausgeschnitten. Dieses Verfahren ist übrigens auch zur Entfernung von Warzen, kleinen Mälern und großen Linsenflecken in Gebrauch . . .
Koßmann, Weiß. Mann und Weib. 1898. . . Lockenwickler mit großem Durchmesser erzeugen Volumen oder großwellige Frisurenpartien, je kleiner der Wicklerdurchmesser, desto enger der Wellenbogen oder kleiner die Locke . . .
Greß, Lehmberg. Körperpflege. Theorie und Praxis für Frisöre und Kosmetiker. 1987. . . Eine Frau betrachtet sich daher immer nur als Rohstoff für eine Frau: Nicht das Material wird beurteilt, sondern was daraus entsteht. Ohne Make-Up, Lockenfrisur und Kettchen sind Frauen praktisch noch nicht vorhanden. Das erklärt auch, weshalb so viele von ihnen völlig ungeniert mit Lockenwicklern und eingefettetem Gesicht herumlaufen . . .
Vilar. Der dressierte Mann. 1971
DER ES-KULT.
Der Es-Kult war durch ein Ritual bestimmt, in dessen Verlauf Kleidungsstücke in unterschiedlicher Geschwindigkeit abgelegt wurden. Der Begriff ‘Es’ bezieht sich auf die immer wiederkehrende Redewendung ‘Einmal mußte Es ja passieren’. Man ging konsequenterweise lange Zeit davon aus, daß es sich bei dem Es-Kult um ein Kleidertauschritual gehandelt hat. Diese Hypothese schien bestätigt durch eine Vielzahl von Texten, die bildliche Darstellungen nackter Menschen auf großen Leinwänden beschreiben, internationale Kampagnen, die offenbar zum Kleidertausch aufforderten. Die Kleidertauschtheorie mußte jedoch neuerdings erweitert werden, da man sich inzwischen über die herausragende Bedeutung des Fußes während dieser rituellen Handlung Klarheit verschafft hat. Man geht davon aus, daß sich Mann und Frau im Verlauf des langwierigen Es-Rituals Stück für Stück entkleideten. Interessanterweise legten sie aber nicht sämtliche Kleidungsstücke ab. Man achtete etwa darauf, niemals den Fußschutz (Socken oder Strümpfe) auszuziehen. Dieses Faktum sowie die Tatsache, daß die Verehrung vor allem weiblicher Strümpfe fetischistische Ausmaße angenommen hatte, bezeugen eindringlich den allerhöchsten Rang, den der Fuß als Kultobjekt einnahm. Vereinzelt werden sogar Stimmen laut, die dem Fuß die Rolle des Allerheiligste zusprechen wollen. Als Beweis ihrer These können ihre Befürworter allerdings lediglich die Tatsache anführen, daß zu Ehren des Fußes Tanzveranstaltungen gigantischen Ausmaßes stattgefunden haben, sogenannte Fuß-Bälle.
Zunächst hatte man sich in der modernen Kultforschung den konkreten Verlauf des Es-Kultes völlig anders vorgestellt. Man sah fälschlicherweise hinter dem Ausdruck ‘das erste Mal’ einen Hinweis auf die Entstehung von Muttermalen. Allerneuste Forschungsergebnisse deuten darauf hin, daß sich der Es-Kult als Einleitungsritual für annähernd alle uns heute bekannten Paarrituale verstehen läßt. ‘Es’ wurde ebenso als Vorbereitung auf die Herztransplantation wie zur Erleichterung der Pigmentübertragung im Erotikritual vollzogen.
‘Original-Text’-Funde:
. . . Frauenfußliebhaber sucht nettes Mädchen oder Dame, die vorzugsweise Nylonstrümpfe trägt und sich von mir ihre Füße verwöhnen läßt. M, 28, 192, 80. Chiffre: 2760068 . . .. . . Wir nähern uns dem Es mit Vergleichen, nennen es ein Chaos, einen Kessel voll brodelnder Erregungen . . .
Freud. Neue Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. 1940. . . Natürlich waren wir auf die Dauer mit Händchenhalten im Kino und Küßchengeben im Hausflur nicht zufrieden. Mir wurde klar: einmal mußte ‘Es’ passieren . . . Er ließ sich Zeit, viel Zeit. Noch heute empfinde ich das betörende Gefühl, als ich schließlich nackt in seinen Armen lag. Er selbst hatte nur sein Oberhemd ausgezogen. Vielleicht aus Scham. Vielleicht, weil er mich, rücksichtsvoll, wie er immer ist, nicht durch seine Nacktheit erschrecken wollte. Ich schloß die Augen. Als ich sie nach einer Weile öffnete, war auch er nackt – bis auf die Socken . . . Ich registrierte sogar noch die Farbe seiner Strümpfe, das Muttermal an seiner Schulter, und zum ersten Mal fiel mir auf, daß er etwas abstehende Ohren hatte – ich mußte im Stillen darüber lächeln . . .
‘Twen’. 1968
DER KOSMETIK-KULT.
Der Begriff ‘Kosmetik’ wird abgeleitet aus dem terminologischen Umfeld von ‘Kosmos’, ‘Kosmologie’ etc. Es handelt sich bei dem Kosmetik-Kult um eine Zeremonie, in denen Verlauf kosmische Strahlung zwischen Mann und Frau übertragen wurde. Der optimale Zeitpunkt für den Vollzug dieses Rituals wurde möglicherweise anhand bestimmter Sternkonstellationen ermittelt. Männer und Frauen pilgerten zu großen Planetarien, die als Hypnosezentren benutzt wurden. Für die Dauer der Pilgerfahrt bezeichnete man sich selbst gerne als ‘Voyeur’ (frz. voyageur – der Reisende). Zu Beginn eines jeden Kosmetikrituals brachte man am Körper der Reisenden Kontakt-Linsen an. Auf geheimnisvolle Art wurden mit Hilfe dieser Geräte Energiekonzentrate zwischen Männern und Frauen hin- und hergeschickt. Die Venusforschung läßt keinen Zweifel daran, daß es sich hier um ungeheuer große Mengen kosmischer Strahlung gehandelt haben muß. Durch die starke Brechung der Strahlung in den Linsen lassen sich die häufig tranceartigen und halluzinatorischen Anwandlungen während der rituellen Vorgänge deuten. Es handelt sich um ungeklärte Suggestionswirkungen, die mit Begriffen wie ‘Liebe’, ‘Sehnsucht’, ‘Wunder’, ‘Verzauberung’ o.ä. beschrieben werden. Vermutlich handelt es sich um Bezeichnungen für die unterschiedlichen Brechungswinkel der kosmischen Strahlung in den Kontaktlinsen. Bestimmte Operationsrituale scheinen auf geheimnisvolle Weise an den Kosmetik-Kult gekoppelt zu sein, wie der Begriff ‘kosmetische Operation’ nahelegt. Sollte bei Herztransplantationen also gleichfalls kosmische Strahlung eingesetzt worden sein?
‘Original-Text’-Funde:
. . . Man spricht von einem dämonishcen Einfluß, welchen entweder das männliche auf das weibliche oder das weibliche auf das männliche Wesen ausübt. Jedem Individuum wohnt die Fähigkeit der Seelenbezwingung, Seelenbeherrschung, Seelenunterjochung inne, das, was wir mit dem Fremdworte ‘Suggestion’ bezeichnen . . .
Koßmann, Weiß. Mann und Weib. 1898. . . so gibt es einen Blitz, wie wenn Kerzenlicht am Weihnachtsbaum einen Büschel Rauschegold plötzlich streift . . .
Koßmann, Weiß. Mann und Weib. 1898. . . so haben wir es mit einem Zusammentreffen eines abnorm gesteigerten Geschlechtstriebes mit irgendeiner besonders kräftigen Suggestionswirkung zu tun . . .
Koßmann, Weiß. Mann und Weib. 1898. . . Es gelang ihr nicht, sich der Verzauberung zu entziehen, wie wollte es auch bald nicht mehr, sie sehnte vielmehr das wunderbare Gefühl herbei, geborgen zu sein in der Harmonie mit dem anderen Menschen . . .
‘Twen’. 1968
INDEX
A >
Abenteuer / Abstinenz / Adamsapfel / Aerobic / Akt / Altweibersommer / Androgynität / Angebetete / Anziehungskraft / Apfel / Aphrodisiakum / Attraktivität / Aufklärung / Aufregung / Augenbrauen / Augenweide / Ausstrahlung
B >
Backfisch / Balz / Bann / Bart / Bedürfnis / Befriedigung / Begierde / Berührungsängste / Besessenheit / Betörung / Bewunderung / Beziehung / Biene / Bierbauch / Bikini / Bindung / Birne / Blickkontakt / Blume / Blut / Bordell / Bräutigam / Büstenhalter / Busen
C >
Champagner / Charakter / Charme / Corsage
D >
Dame / Defloration / Dekadenz / Dekoration / Delikatesse / Diät / Domina / Drama / Drang / Dressur / Duell / Duft
E >
Egoismus / Ehebruch / Eifersucht / Einsamkeit / Eitelkeit / Ejakulation / Elektrik / Emanzipation / Empfindung / Emotion / Enthüllung / Enttäuschung / Enthaltsamkeit / Erdbeermund / Erfüllung / Eroberung / Erotik / Erregung / Erröten / Exhibitionist
F >
Falle / Familie / Feigheit / Fessel / Fetisch / Feuer / Fingernagel / Flamme / Flirt / Flitterwochen / Fräulein / Frauenheld / Freiheit / Freudenhaus / Frisur / Frivolität / Froschkönig / Frühling / Funkeln
G >
Gänsehaut / Gatte / Gefühl / Geheimnis / Gehorsam / Geliebter / Genuß / Geruch / Geschlechtsverkehr / Gewalt / Gewissen / Gift / Glanz / Glatze / Gleichgewicht / Glück / Graffiti / Gruppensex / Gurkensaft
H >
Haare / Härte / Häßlichkeit / Harmonie / Hausmann / Heirat / Held / Hemmungen / Herzbruch / Herzklopfen / Himmel / Hingabe / Hingerissenheit / Hitze / Hochzeitsnacht / Homosexualität / Horoskop / Hosenträger / Hüftschwung / Hut / Hypnose
I >
Ideal / Idylle / Illusion / Individualität / Inspiration / Instinkt / Intimität / Inzest
J >
Jubel / Jungfrau / Junggeselle
K >
Kampf / Katze / Kavalier / Keramik / Kerzenlicht / Keuschheit / Klatsch / Knistern / Knutschen / Körperkontakt / Kopfschmerz / Koitus / Koketterie / Komplex / Konkurrenz / Kopflosigkeit / Kosmetik / Kostüm / Kratzbürste / Krawatte / Kröte / Kultur / Kuppelei / Kuß
L >
Lächeln / Laster / Laune / Lebensgefährte / Lebkuchenherz / Leichtsinn / Leid / Leidenschaft / Libido / Liebesbrief / Liebesnest / Liebesperlen / Liebesschwur / Liebesspiel / Liebestöter / Liebhaber / Liebkosung / Lidschatten / Lippenstift / Loblied / Lockenwickler / Lockung / Logik / Luftschloß / Lustprinzip
M >
Macho / Männlichkeitswahn / Märchen / Make Up / Mannsbild / Maske / Masochismus / Masturbation / Melancholie / Menstruation / Migräne / Mitgift / Monogamie / Muse / Muskeln
N >
Nacktheit / Nähe / Nagellack / Narkotikum / Natur / Nervenkitzel / Neugier / Nimmersatt / Nymphomanie
O >
Obszönität / Ödipus / Ohrring / Onanie / Opfer / Optik / Orgasmus / Orgie
P >
Paar / Pantoffel / Paradies / Parfüm / Partnertausch / Penisneid / Perücke / Perversion / Phallus / Pinzette / Polygamie / Pomade / Pornografie / Potenz / Prinzessin / Prostitution / Prüderie / Pubertät / Puder / Pulsschlag / Puppe
Q >
Quälgeist / Quaselstrippe
R >
Rätsel / Rasierwasser / Rausch / Reflex / Reiz / Rendez-vous / Rhythmus / Rivale / Romantitk / Rose / Rouge / Rückfall / Runzeln
S >
Samurai / Scham / Schatz / Schauder / Scheidung / Schlaflosigkeit / Schlappschwanz / Schmetterling / Schmincke / Schmuck / Schönheitsideal / Schönheitsoperation / Schoß / Schreibmaschine / Schüchternheit / Schwan / Schwarm / Sehnsucht / Seufzer / Sex / Single / Sinnlichkeit / Sitte / Sog / Spannung / Spiegel / Spiel / Sport / Stelldichein / Stimulation / Storch / Strich / Strickzeug / Sünde / Suggestion / Sympatie
T >
Tabu / Taillenweite / Tanzschule / Techtelmechtel / Teint / Telefonsex / Temperament / Tier / Tingeltangel / Toleranz / Trauring / Tränen / Traumfrau / Trennung / Treue / Trieb / Turnen / Turteltaube
U >
Überschwenglichkeit / Überwältigung / Umarmung / Unglück / Unterdrückung / Untreue / Unzucht / Utopie
V >
Venus / Verehrung / Verführung / Vergewaltigung / Vergnügen / Verhältnis / Verhütung / Verkehr / Verlangen / Verletzung / Verliebtheit / Verlobung / Verlustangst / Vernaschen / Verschmelzung / Versuchung / Verwirrung / Vollkommenheit / Vorspiel
W >
Wahn / Wärme / Weibsbild / Werben / Wildheit / Wimpern / Wirrwarr / Witwe / Wolken / Wollust / Wonnegefühl / Wüstling / Wunde / Wunder / Wunsch
Z >
Zähneknirschen / Zärtlichkeit / Zauberstab / Zeremonie / Zeugung / Zierde / Zote / Zuneigung / Zungenkuß / Zusammenprall / Zustand / Zwang / Zwitter
Konzeption, Texte, Typografie und Zeichnungen © Ulrike Meisenheimer
Essen, 1994
Dieses Buch ist im Sommersemester 1994 als Diplomarbeit im Fach Kommunikationsdesign an der Universität GH Essen entstanden.